Fahrbericht Cadillac Escalade: Ist das die dekadenteste Art zu reisen?
Chrom, Kante, Leistung und Größe – das ist das US-amerikanische Verständnis für Luxus. Nach der neuen Limousine CT6 und dem Midsize-SUV XT5 hatten wir jetzt die Königsklasse der SUV-Fahrzeuge und gleichzeitig Sinnbild amerikanischer Sprechgesang-Kultur im ausführlichen Test: den Cadillac Escalade.
22 Zoll große Felgen serienmäßig
Der Cadillac Escalade pflegt eine lange Tradition. Er steht nicht nur Pate für US-amerikanische Gangsterfilme oder 50 Cent-Hip-Hop-Videos, in denen die heißesten Mädels mit Goldketten an die Ledersitze geschnallt und bewusstseinserweiternde Substanzen durch 500-Dollar-Noten gezogen werden – nein, auch das FBI fährt Escalade. Jedoch meist ohne die coolen Felgen.
Galerie: Cadillac Escalade (2017) im Test
Genau das ist einer der Reize des Escalade: sein Image ist seriös – aber gleichzeitig auch halbseiden. Er ist vollkommen flexibel einsetzbar und verfügt über eine Faszination, die in Hollywood ihre Wurzeln schlägt. Auch wenn bei der vierten Generation die serienmäßigen 22 Zoll Räder für echte Hopper immer noch zu klein sind – auf dem europäischen Markt wirken sie überdimensioniert. In Relation zum wiederum überdimensionierten Auto aber wieder passend. Denken wir einfach mal nicht an neue Reifen …
Uns hat er sich natürlich nur von seiner besten und seriösesten Seite präsentiert. In glänzend weißer, unschuldiger Weste – übrigens ist die nahezu einzige aufpreispflichtige Option für 1.500 Euro die Lackierung in Perlweiß – und mit reichlich Chrom mit klar definierten Kanten und brillanten LED-Lichtlinien, garantiert insbesondere das wuchtige Gesicht einen funkelnden Auftritt. Die elektrisch aus- und einfahrbaren Trittbretter bestätigen den dekadenten ersten Eindruck. Überraschenderweise weckt der Auftritt bei der Umwelt mehr Neugier als Sozialneid – denn für letzteres ist der Cadillac Escalade einfach zu besonders.
Hochwertiges Interieur zum Wohlfühlen
So wuchtig das Exterieur, so schwer auch das Interieur. Typisch amerikanisch. Doch der Eindruck überrascht trotzdem: kaum Plastik – und wenn, dann hochwertiger Kunststoff.
Weder bei der Materialauswahl noch bei der Verarbeitung möchten die Amerikaner, die vor ein paar Jahren erst ihr ganzes Unternehmen auf den Kopf stellten und einen Neuanfang wagten, an frühere Zeiten erinnert werden. Feinstes Leder, dunkelbraune Wurzelholz-Dekore und sensitive Touch-Elemente begeistern und beweisen offensichtlich, dass auch Cadillac mittlerweile in der Lage ist, seinen inoffiziellen Rufspruch “plastic is all fantastic” endgültig abzulegen.
Launige Wohnzimmer-Atmosphäre
Die für SUV vergleichsweise kurze Frontscheibe vermittelt zu erst einen gedrungenen und sportwagen-ähnlichen Eindruck des Interieurs. Durch die extrem hohe Sitzposition und durch das große Schiebedach und den ohnehin riesigen Dimensionen im Interieur fühlt man sich ganz und gar nicht eingeengt. Im Gegenteil: die Beifahrerin sitzt so weit weg, dass jeglicher Annäherungsversuch durch den in der Mittelkonsole sitzenden Kühlschrank eiskalt abgebrochen wird und nie im Ostflügel ankommt.
Die schwarzen Ledersitze im Cockpit verfügen über Heizung, Belüftung und drei verschiedene Massagefunktionen in jeweils drei verschiedenen Intensitäten. Tausend Mal besser und wirkungsvoller als bei Renault, aber noch nicht ganz auf dem Niveau des Audi A8 oder der Mercedes-Benz S-Klasse. Trotzdem transportieren sie dank ihrer Einstellmöglichkeiten nahezu jeden Körper vollkommen entspannt von A nach B. Zusammen mit der erhöhten Sitzposition und dem Magnetic Ride-Fahrwerk gleitet man selbst bei der elektronisch begrenzten Maximalgeschwindigkeit von 180 Km/h extravagant über den Asphalt. Nur fliegen ist schöner.
Ungewohnt ist der Gangwahlhebel, der wie ein Trümmerteil hinter dem Lenkrad auf starke Oberarme wartet. Wäre er in einem VW up! eingebaut, würde er zur rechten Seitenscheibe hinausragen. Aber auch daran gewöhnt man sich mit der Zeit. Ein wuchtiges Auto erfordert eben wuchtige Steuerelemente.
Anfangs kompliziertes Multimediasystem
Am Anfang hatten wir mit dem Multimediasystem zu kämpfen. Wie so oft bei Automobilen ist das Multimediasystem eines der größten Verständnis-Stolpersteine und benötigt einfach Eingewöhnungszeit. Nach drei Tagen kamen wir mit der Bedienung gut zurecht – ein größeres Display würde dem großen SUV aber besser stehen. Die Bedienung haben wir hier für Sie aufgezeichnet:
Für Oldschool-Hopper: 6,2 Liter V8 mit 426 PS
Schon der Klang des Monsters unter der Haube des Monsters beim vollen Beschleunigen ist der Wahnsinn. Reine V8-Saugmotoren sind eine wahre Rarität – und sterben leider aus. Seine Laufruhe, Stärke, Emotionalität und nicht zuletzt Effizienz in der Realität können sich in Zukunft nicht mehr dem Rotstift der theoretisch denkenden Behörden widersetzen. Diese offensichtliche Tragödie brüllt der 6,2 Liter große Oldschool-V8 mit 426 PS und 610 Nm Drehmoment aus Aluminium mit ebenso Alu-Zylinderköpfen – der auch als Kompressor-Variante in Corvette-Varianten eingesetzt wird – in 6,7 Sekunden von 0 auf 100 Km/h aus Leib und Seele. Danach geht es mittels eines Sechsgang-Wandlers ebenso zügig auf maximal 180 Km/h – elektronisch begrenzt. Sicherheit und Verbrauch gehen vor.
Der Cadillac Escalade verfügt über eine exzellente Fahrdynamik
Kein Geheimnis ist es, dass gerade der Cadillac Escalade in der Realität oftmals als Regierungsfahrzeug oder für hochrangige Wirtschaftsbosse eingesetzt wird. Dabei ist nicht nur eine rasche Beschleunigung gefragt, sondern auch ein komfortables, aber auch überaus präzises Fahrverhalten. Schließlich muss man aus dem Hinterhalt möglichst schnell flüchten können – der Fluchtweg ist oftmals eben nicht nur eine Gerade.
Durch Kurven führt einen das variabel einstellbare Magnetic Ride Fahrwerk komfortabel als auch rasch. Querdynamik-Kräfte kaschiert das Koloss nahezu vollständig – die Lenkung arbeitet überraschend präzise. Auch hier legt Cadillac sein Vorurteil der lahmen und unpräzise fahrenden Automobile ab.
Mussten wir uns eine Tankstelle kaufen?
Überraschenderweise nicht. Auch hier legt der Escalade sein Vorurteil ab. Wir haben viel Mediamaterial produziert, dessen Produktion eine hohe Belastung für den Spritverbrauch erforderten. Wir waren auf Autobahnen meistens am Limit von 180 Km/h unterwegs und sind auch viel in der Stadt gefahren. Trotzdem pendelte sich der Verbrauch am Ende bei etwas über 13 Litern ein. Da kann man überhaupt nichts sagen – vor allem wenn man bedenkt, dass man noch fünf weitere Gäste mitnehmen kann.
Parkplatzsuche? Bekommt man definitiv hin
Die Höhe von 1,89 Meter ist zwar für so manches Altstadtparkhaus ausschließendes Kriterium, aber mit einer Länge von 5,18 Metern, ist der Escalade in der Realität nur ein bisschen länger als ein Panamera oder eine S-Klasse. Das Einparken geht zwar nicht automatisch, aber die Rundum-Kameras in Kooperation mit den großen und geradlinigen Fensterflächen sorgen für optimale Übersicht. Auch ist der Wendekreis von 11,9 Metern für dieses 2,8 Tonnen schwere Gefährt extrem beeindruckend und in der Stadt hilfreich. Die Breite beträgt übrigens 2,04 Meter.
Aber was wären Amerikaner, wenn es nicht auch noch größer ginge. In der längeren “ESV”-Variante misst der Cadillac Escalade ganze 5,70 Meter und verfügt über einen Radstand von 3,30 Meter.
Fazit von AUTOmativ – Preise
Optischer Eindruck | +++++ |
Qualität Karosserie | +++++ |
Qualität im Interieur | ++++ |
Lenkung | ++++ |
Fahrwerk | ++++ |
Motor | +++++ |
Raumangebot | +++++ |
Digitales Bedienkonzept | +++ |
Innovation | ++ |
Preis | +++ |
Gesamteindruck | ++++ |
+++++ = Maximum |
Der Cadillac Escalade überrascht auf ganzer Linie. Er legt so gut wie fast alle Vorurteile ab, mit denen er konfrontiert wird: kein gutes Fahrverhalten, viel Plastik und ein enorm hoher Verbrauch. Von all diesen Eigenschaften konnte er das Gegenteil beweisen. Und: er ist ein phänomenales Reiseauto, das einerseits zwar eine leichte Dekadenz ausstrahlt, aber andererseits trotzdem irgendwie akzeptiert wird – weil dieses Koloss einfach fasziniert.
Der Cadillac Escalade ist in Europa in zwei Ausstattungslinien verfügbar: Premium und Platinum. Unser Testwagen verfügte über die Platinum-Ausstattung (Top) und kostete 115.800 Euro. Alle in diesem Fahrbericht erwähnten Ausstattungen sind serienmäßig mit an Bord.
Bilder: Benjamin Brodbeck | instagram.com/sirbenjibro