Fahrbericht Porsche 718 Boxster S: Hör mal wer da hämmert!
Es rumpelt in der Kiste – und das nicht zu leise. Die fahrende Unruhe lechzt mehr denn je nach der nächsten Kurve und kann schon die darauf folgende kaum erwarten. Der neue Porsche 718 Boxster S verkörpert ein hochpräzises Messinstrument, spezialisiert auf Asphaltradien jeglicher Art – und jedweder Beschaffenheit. Das Design ist nahezu perfekt, auch das gesamte Fahrzeug erscheint in sich stimmig. Doch oftmals ist Perfektion nicht der Schlüssel zur Begeisterung. Das ist nicht nur bei Automobilen so.
Kann ein Automobil eigentlich zu perfekt sein?
Was für eine Frage. Natürlich nicht, würde man sagen. Hauptsache immer schneller, besser und schöner. Und doch stellen wir uns diese Frage in letzter Zeit immer häufiger.
Das Gesicht des Neuen ist an Schönheit nicht zu übertreffen. Klinisch rein wirkt es; bei Menschen würde man es als Ideal bezeichnen und es zu Lagerfeld auf die Fashion Week stellen. Doch sind Schönheitsideale langfristig begehrenswert? Ziehen sie uns an? In den meisten Fällen eher nicht. Anziehend finden wir vielmehr Ecken und Kanten, verpackt in attraktivem Äußeren.
Und so strafften die Chirurgen aus Weissach das Gesicht und glichen dabei die Topografie der beiden Kotflügel und der Kofferraumhaube an Norddeutschland an. Vorbei sind die Zeiten der hochgezogenen Kotflügel, die in angestellten Scheinwerfern enden und dem Fahrer zur Orientierung dienten. Heute muss es flach, scharf, Lamborghini .. bzw. 996, Spiegeleier-Porsche, weißt schon. Fehlt nur noch, dass die Kofferraumhaube wieder eckig wird.
Klar, das spannendere Bugteil ist den kommenden GTS-Versionen vorbehalten.
Souveräner Alleskönner, der 718 Boxster S
Der Porsche 718 Boxster S kann einfach alles: schneller als die GTS-Version seines Vorgängers, deutlich komfortabler auf langen Strecken dank adaptivem Fahrwerk (optional) und auf Wunsch strammer als das Sportfahrwerk seiner Vorfahren. Sein Heck schließt bündiger mit der Straße ab und sieht gegenüber seinem Vorgänger mehr nach Supersportler aus.
Die Turbos der vier Töpfe im vollkommen abgeschlossenen Maschinenraum verhalten sich zivilisiert. Lang vorbei sind auch die Zeiten, in denen der Zusatz „turbo“ nur Draufgängern, Bad Boys und Superhelden vorbehalten war. Heute fährt jeder Anwaltsemporkömmling irgendetwas mit Turbo jenseits der 300 PS.
Die 350 PS schieben den 1.385 Kilogramm schweren 718 Boxster S in 4,2 Sekunden von 0 auf 100 Km/h – auf 200 geht es jetzt in 14,7 Sekunden. Zwar wiegt er 15 Kilogramm mehr, der Sprint gelingt jedoch – dank 35 PS und 60 Nm Drehmoment mehr – 0,4 bzw. auf 200 Km/h sogar ganze 2,6 Sekunden schneller. 285 Km/h Höchstgeschwindigkeit sind jetzt möglich. Die angenehme und sichere Reisegeschwindigkeit liegt um die 200 Km/h.
Weg mit den alten Vorurteilen
Wer dabei sagt, der 718 Boxster S sei nur etwas für Frauen, der hat keine Ahnung. Wenn diese reinen Zahlen schon nicht davon überzeugen, dann muss man nur eine einzige Kurve mit dem neuen Einstiegs-Porsche fahren. Davon abgesehen, dass es niemals freiwillig bei nur einer Kurve bleiben wird, spürt man, wie man eins wird mit dem Roadster. Minimale Lenkbefehle reichen aus, um ihn fehlerfrei durch scharfe Haarnadeln zu führen.
Die Karosserie umschließt einen, nimmt einen auf. Der Fahrer ist der Taktgeber und schließt seinen Verstand direkt an die 2,5 Liter große und viergeteilte Brennkammer unmittelbar in seinem Rücken an. Die Schaltwechsel erfolgen mittels PDK und Wippen hinter dem Lenkrad gewohnt blitzschnell und akustischem Intermezzo.
Wenn das Heck zu stark ausbricht, wird es sanft wieder in die Spur gebracht – man will ja keine Zeit verlieren und so präzise wie möglich die Kurve bearbeiten. Walter Röhrl sagte einmal, ein Boxster sei so gut abgestimmt, dass die Elektronik normalerweise nie eingreifen müsse. Wenn sie es doch einmal tut, dann ist wirklich „Feuer am Dach“.
Man muss sich eben auf Fortschritt einlassen
Gehen wir noch eine Stufe höher. In die Stufe derer, die Porsche schon lange begleiten. Übertreiben wir mal nicht und klammern den harten Kundenstamm aus, dessen Zugehörige früher noch mit hochgekrempelten Ärmeln unter ihren Autos liegend jeden Sonntag Fahrwerksteile polierten. Für diejenigen hörte die Leidenschaft für Porsche ohnehin schon beim 993 auf.
Fortschritt bedeutet eben, sich auf gewisse Technologiesprünge einzulassen. Im Konkreten heißt das auch die Verabschiedung von zwei Zylindern, die zweifelsohne deutlich mehr Ruhe und Leidenschaft in die vorigen Generation Boxster brachten.
Wir sind mit beiden Derivaten deutlich über 2.000 Kilometer gefahren und verbuchten mit beiden einen ähnlichen Verbrauch. Klar: wir sind nicht mit beiden die selbe Strecke gefahren und haben dann verglichen. Wir haben beide einfach nur im Alltag bewegt.
Das ausschlaggebende Argument für einen Wechsel von sechs auf vier Zylindern würde so also relativiert werden. Im neuen europäischen Fahrzyklus sollte hier eine Einsparung von 0,9 Litern im Vergleich zum Vorgänger realisierbar sein. Doch auch mit ihm fuhren wir lange Strecken unter 10 Litern. Ein Phänomen, das wir schon häufiger beobachtet haben: weniger Zylinder und/oder weniger Hubraum bedeutet in der Realität nicht unbedingt auch weniger Verbrauch.
Früher Mädelsschwarm und Klassenclown, heute Streber
Der neue Porsche 718 Boxster S ist ein Streber. Er kann vieles besser als sein Vorgänger. Er ist nahezu perfekt. Er ist das Idealbild eines zweisitzigen Sportwagens. Sein Begehrlichkeitsfaktor ist natürlich hoch – alleine wegen der Markenstärke, seiner Leistung, seiner Optik. Lehrers Liebling also. Doch sind die wenigsten von uns glücklicherweise Lehrer. Und so ganz sympathisch waren uns die Streber damals aus Sicht der Mitschüler nicht. Zugegebenermaßen hinkt der Vergleich, denn so unsympathisch, wie damals die menschlichen Streber in der Schule ist der 718 Boxster S nicht.
Jedoch fehlt das Freche, das Lustige, Verspielte, das Individuelle. Uns fehlt das. Früher hatte der Boxster zum Beispiel kursiv beschriftete Instrumente. Ein kleines Merkmal um zu zeigen: „Hey! Ich bin anders. Ich bin der Klassenclown und Mädelsschwarm. Ich werde nie erwachsen, doch wenn ich mit dem Lehrer gut hinkomme, bin ich spielerisch auch der Klassenbeste.“ Klar gefällt dieser Typ Charakter nicht jedem. Aber dafür wurde der Boxster auch nicht gebaut. Er sollte zu einem ganz bestimmten Käufertypen passen. Und zwar zu demjenigen, der den Umgang mit einem spritzigen Mittelmotorsportler zu pflegen verstand.
Heute hingegen ist der Boxster Massenliebling. Die Spreizung zwischen Reisekomfort und Rennstreckensportlichkeit ist dank optionaler Hochtechnologie so groß wie noch nie zuvor. Auf Autobahnen kann er fahren wie der neue A5 – auf dem Rundkurs schwimmen in seinen Adern die roten Blutkörperchen des GT3 RS. Das ist beeindruckend. Und einsame Spitze.
Er ist eben doch erwachsen geworden. Genau so wie sein Grundpreis von 66.141 Euro.