Peter W. Schutz ist tot: Der Mann, der den Porsche 911 rettete
Gute Menschen kommen – gute Menschen gehen. Gestern ging einer von ihnen im Alter von 87 Jahren: Peter W. Schutz. Dass man heute immer noch einen Porsche 911 kaufen kann, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern sein Verdienst als führender Porsche-Kopf. Der Ex-Vorstandsvorsitzende von Porsche überzeugte in den Achtzigerjahren nicht nur die Familie, den heute legendären 911 – selbst in der Krisenzeit – nicht aufzugeben, sondern gewann auch mit alten Museums-Rennwagen das 24 Stunden Rennen von Le Mans. Bei meinem zweiwöchigen Besuch an seinem Rückzugsort in Naples (Florida) im März 2012 hatte ich eine der spannendsten Zeiten meiner Jugend. Ein Nachruf.
Peter W. Schutz als Schlichter für Porsche
Es überraschte einige, als Peter W. Schutz 1981 neuer Vorstandsvorsitzender von Porsche wurde. In Berlin geboren, wanderte die jüdische Familie im Jahr 1937 zwangsläufig nach Cuba aus, um von dort im Jahr 1941 nach Chicago zu ziehen. Schutz wurde Ingenieur und fing bei Caterpillar und Cummins an, ehe er im Jahr 1978 zu Klöckner-Humboldt-Deutz wechselte.
Die Familie Porsche stellte Schutz mit der Bitte und dem Ziel ein, die Stimmung der Mitarbeiter zu verbessern und die Familie mit den Führungskräften wieder zu einen. Denn der Haussegen der Stuttgarter Sportwagenschmiede hing mehr als nur schief. Aufgrund der neuen Modellpolitik mit schwerwiegenden Folgen – vor allem in den Vereinigten Staaten – seines Vorgängers Fuhrmann, schrieb Porsche im Jahr 1980 zum ersten Mal rote Zahlen.
Unter Fuhrmann wurde entschieden, den Porsche 911 nicht mehr weiter zu bauen – zu hoch seien die Kosten, zu niedrig die Verkäufe und zu aussichtsreich die Transaxle-Modelle, wie der 924, 944 und 928. Darüber hinaus war es ebenfalls beschlossene Sache, die 24 Stunden von Le Mans mit Rennsportvarianten des Porsche 924 zu fahren – ohne jeglichen Aussicht auf Erfolg. Dass die Mitarbeiter in dieser Situation wenig Begeisterung zeigten, ist klar.
Porsche mit „Museums Rennfahrzeugen 956 Gruppe C“ bei den 24 Stunden von Le Mans 1983
Schon in seiner dritten Woche als Porsche-Chef kehrte er die längst gefällte Entscheidung, den Porsche 911 einzustellen, um. Eine der besten jemals gefällten Entscheidungen des Unternehmens – bis heute.
Schutz holt die alten Rennwagen aus dem Museum und fährt Le Mans
Auch ließ er die Porsche 924 nicht in Le Mans fahren, sondern nahm die alten Rennwagen aus dem Porsche Museum. An diese Story kann ich mich so gut erinnern, als hätte er sie mir erst gestern erzählt, während wir in seinem 1952er (nicht mehr ganz sicher) Chevrolet Truck durch Naples cruisten:
„Ich ging in unser altes Museum – Du weißt ja noch, wie klein und dunkel das war, oder?“ (damals war das Museum im Porsche Werk integriert, in einer kleinen Halle neben der Pforte. Die Deckenhöhe war zimmerhoch und die Platzverhältnisse entsprachen einem Großraumbüro.) „Dort standen ein paar Mechaniker, die jene wenigen Museumsfahrzeuge, die dort Platz fanden, für die paar wenigen Besucher pro Woche, die sich dorthin verirrten, in Stand hielten. Ich bat sie, mir die 936-Fahrzeuge fertig zu machen und sie ins Werk 1 zu bringen. Sie fragten erstaunt: jetzt?! Wir hatten keine Zeit, denn bald waren schon die 24 Stunden von Le Mans 1981 und wir hatten keine konkurrenzfähigen Autos. Also sagte ich: bitte so rasch wie möglich.
Die einzige Chance war, einen alten Rennwagen zu nehmen – gut, die 936er Modelle waren nicht alt, sie waren nur durch FIA-Regularien museumsreif geworden – und mit einem neuen Motor auszustatten. Zwei 936 Fahrzeuge hatten wir im Museum. Das waren beides Fahrzeuge, die schon zwei Mal in Le Mans und bei weiteren Langstreckenrennen gesiegt hatten. Genau diese beiden Fahrzeuge wurden umgebaut und mit einem zwei Jahre zuvor entwickelten Turbomotor mit 2649 cm³ Hubraum bestückt. Lange Rede kurzer Sinn: wir holten mit einem dieser Museumsfahrzeuge, das schon in den Jahren 1976 und 1977 unter anderem die 24 Stunden von Le Mans gewann, den Titel zum dritten Mal.
Heute wäre so etwas unvorstellbar, damals gelang uns dies. Und zwei Jahre später holten wir nicht nur einen Doppelsieg in Le Mans, sondern brachten unsere Rennfahrzeuge des Typs 956 auf die Plätze eins bis elf – nur den neunten Platz mussten wir an Sauber/BMW abtreten. Nobody is perfect.“
Nicht alles war Gold
Noch heute habe ich kilogrammweise Anstecker, auf deren Vorderseite das Ergebnis tabellarisch festgehalten wurde. „Damals lief jeder Porsche-Mitarbeiter wochenlang mit diesem Anstecker durch das Werk und war stolz. Das schweißte zusammen. Ab sofort konnten wir alles erreichen“, erinnert sich Schutz.
Derartige Entscheidungen erfordern Mut – keine Frage. Die Entscheidung, den 911er weiter zu bauen, erforderte gesunden Menschenverstand und Überzeugungsgeschick.
Sicher waren nicht alle Entscheidungen, die er traf, Gold. Ein Beispiel ist der Flugzeugmotor PFM 3200, der eigentlich ein 911er-Motor war und in Flugzeuge verbaut wurde. Achtzig Stück wurden davon insgesamt verkauft. Dass sich das mit den 75 Millionen Dollar Entwicklungskosten nicht rechnete, liegt auf der Hand.
Porsche 959 als erster Supersportwagen der Welt
Als im Jahr 1986 der Porsche 959 vorgestellt wurde, war dies der erste Supersportwagen der Welt. Schon die Preisvorstellung zu Beginn des Projektes im Jahr 1982 von 200.000 DM war so hoch, wie kein anderes Straßen-Serienauto zuvor – mit Abstand. Der spätere Verkaufspreis von 420.000 DM sollte Porsche nur die Entwicklungskosten wieder einholen, wurde aber vom Marketing als „unverkäuflich“ eingestuft. Schutz verkaufte das Auto trotzdem – und das mit extrem geringem Aufwand. Die ausführliche Geschichte dazu lesen Sie hier bei Porsche & Ducktails:
„The buck stops here.“
In meinen zwei Wochen mit Peter W. Schutz hörte ich gespannt zu und saugte Geschichte für Geschichte auf. Zu dieser Zeit studierte ich Automobilwirtschaft und war froh über die Exklusiv-Vorlesungen, die ich während meines Studiums von derartigen Persönlichkeiten nicht bekam. Meistens teilte er Ratschläge und Geschichten das Management betreffend mit mir. Einige Details fehlen meinem Gedächtnis heute, andere sind präsent wie nie.
In seinem Hobbyraum (Titelbild) gab er mir unter anderem ein schweres Holzschild, das auf all seinen Schreibtischen vorzufinden war. Die Aufschrift aus Messing teilte jedem Besucher mit: „the buck stops here“. Heißt frei übersetzt: „das Problem endet hier“. Er sagte mir auch, er habe einige dieser Schilder auch an seine Mitarbeiter gegeben. Vorrangig an diejenigen, die „Probleme gerne weiterdelegierten und sich aus allen Sachen immer rausredeten.“ Diese Mentalität hätte es bei ihm nicht gegeben, schließlich ist jeder einzelne Mitarbeiter in einem Unternehmen für die Probleme des Unternehmens verantwortlich. Es gilt, jene so rasch wie möglich zu lösen. Dieser Briefbeschwerer sollte daran Tag für Tag erinnern. Und auch er selbst nahm sich davon nicht aus.
Dass Peter W. Schutz Porsche rettete, klingt zu anmaßend. Aber sicherlich hat er die Identität von Porsche mehr als nur gewahrt. Schließlich verdreifachte er die Verkäufe binnen kurzer Zeit. Im Jahr 1987 stürzten die Verkaufszahlen in den USA ein, denn dort tobte die Wirtschaftskrise. Daraufhin musste er das Unternehmen verlassen.
Emotion und High-Tech ergibt Faszination?
In den sechs Jahren, in denen Peter W. Schutz die Geschicke des Unternehmens steuerte, veränderte sich Porsche nicht nur finanziell. Vielmehr zeigte er mit seinen teils unkonventionellen Entscheidungen, dass die richtige Komposition aus Emotion und technischen Errungenschaften Sport- und Supersportwagen verkauft. Und genau das ist der Beweis dafür, dass Leidenschaft und Spannung der Schlüssel zu jedem Geschäftsmodell der Sportwagenindustrie sind.
Also: wenn Sie morgen Ihren 911 in der Garage starten und Sie seinen Sechszylinder-Boxer mit beherzten Gasstößen versorgen und so Ihren glücklichen Tag starten, denken Sie an Peter W. Schutz. Ohne ihn würde dieses traditionsreiche Erlebnis vermutlich nie stattfinden können.